Erneuerbare Energien verstehen

Damit unsere Gesellschaft klimaneutral funktionieren kann, benötigen wir den massiven Ausbau von erneuerbaren Energien. Ich habe mich gefragt, welchen Anteil unseres Energieverbrauchs wir realistisch durch die unterschiedlichen Technologien decken können und wie stark sie dafür ausgebaut werden müssen. Das Buch „Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden“ von Christian Holler, Joachim Gaukel, Harald Lesch und Florian Lesch hat mir eine Einordnung der verschiedenen Energiequellen und der dazugehörigen Technologien vermittelt.

Auf das Buch möchte ich mich in diesem Artikel im Wesentlichen beziehen und dessen Kernaussagen zusammenfassen. Dabei wird von einem zukünftigen Endenergiebedarf von 85 Kilowattstunden (kWh) pro Person und Tag ausgegangen – so als wenn unser Endenergiebedarf ähnlich bleibt wie er heute ist. Die Autoren beziehen wesentliche Merkmale wie Platzbedarf, Effizienz und Technologiereife ein, um abzuschätzen, welche Träger unseren Energiebedarf in Zukunft decken können.

Wenn wir über erneuerbare Energien sprechen, ist es wichtig unseren gesamten Energiebedarf zu betrachten – es geht nicht nur um Strom, sondern auch um Wärme zum Heizen (Erdöl, Gas, Pellets) und Kraftstoff für die Mobilität (Benzin, Diesel). Der deutsche Strommix besteht zwar schon zu fast 46 Prozent aus erneuerbaren Energien 1, auf unseren Gesamtenergiebedarf bezogen sind es allerdings gerade einmal 15 Prozent.

Geothermie

Bei der Geothermie geht es um die Nutzung von Wärme, die direkt von der Erde abgegeben wird. Sie besteht jeweils zur Hälfte aus der seit Urzeiten gespeicherten Wärme aus dem Erdkern und der Zerfallswärme eines permanenten natürlichen radioaktiven Prozesses in den Erdschichten. Zusätzlich wird die Erde durch die Sonne auch von außen gewärmt.

Bei oberflächennaher Geothermie wird bis zu 400 Meter in den Boden gebohrt, wo Temperaturen von 10 bis 25 Grad Celsius herrschen. Mithilfe einer Erdwärmesonde kann diese Energie aus dem Boden gespeist und durch eine Wärmepumpe auf ein höheres Temperaturniveau gehoben werden. Anschließend kann man sie sich an Gebäuden zunutze machen, um effizient zu heizen und Wasser zu erhitzen. Der Betrieb der Wärmepumpe kostet zwar zusätzlichen Strom, allerdings ist diese Technik deutlich effizienter, als würde direkt ein Elektroheizofen betrieben werden. Alternativ zur Wärmegewinnung aus dem Boden kann auch eine Luftwärmepumpe eingesetzt werden, um die warme Umgebungsluft zu nutzen. Die Luftwärmepumpe ist beim Neubau bereits heute ein Standard. Je nach Standort und Jahreszeit kann die eine oder andere Technik effizienter sein.

Bei der tiefen Geothermie sind Bohrtiefen bis sechseinhalb Kilometer üblich, in denen Temperaturen bis zu 200 Grad nutzbar gemacht werden können. Aus dieser Wärme kann entweder Strom gewonnen werden oder sie wird mithilfe von Fernwärmenetzen in Haushalten bereitgestellt. Da die Stromumwandlung mit höheren Verlusten einhergeht und nur bei der tiefen Geothermie überhaupt infrage kommt, wird die Geothermie wohl auf den Anwendungsfall der direkten Wärmegewinnung fokussiert sein.

Besonders interessant ist die Geothermie, da sie rund um die Uhr und wetterunabhängig zur Verfügung steht. Außerdem kann sie praktisch überall auf der Welt eingesetzt werden. In Deutschland werden heute gerade mal 0,1 kWh pro Person und Tag durch Geothermie gewonnen – das dominierende Heizungssystem ist die Zentralheizung. In Zukunft kann Geothermie einen großen Teil unseres Wärmebedarfs klimaneutral decken – die Energieverteilung im Buch sieht sie bei etwa 10 Prozent unseres Endenergiebedarfs. Um da hinzukommen, benötigen wir einen massiven Ausbau auf das 80-fache der aktuellen Größe. Dafür müssen Fernwärmenetze gebaut und Heizungsanlagen erneuert werden. Für gut gedämmte Gebäude, in denen momentan eine Gas- oder Ölheizung verbaut ist, kann die Nachrüstung  einer Luft- oder Erdwärmepumpe interessant sein.

Sonne

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Energie der Sonne zu nutzen: Fotovoltaik und Solarthermie. Die Fotovoltaik basiert auf dem fotoelektrischen Effekt, mit dessen Hilfe aus dem Sonnenlicht direkt Strom erzeugt wird. Typische Fotovoltaik-Module können ca. 20 Prozent der eintreffenden Sonnenenergie in Strom umwandeln. In Momenten optimaler Wettervoraussetzungen produzieren die gesamten deutschen Fotovoltaikanlagen 40 Gigawatt Strom – das ist vergleichbar mit 40 Kernkraftwerken. Durch die wechselnd starke Sonneneinstrahlung liegt der Jahresdurchschnitt aber gerade bei sieben Gigawatt.

Um Fotovoltaik-Paneele herzustellen, wird natürlich Energie benötigt. Man spricht dabei von „Grauer Energie“, also dem indirekten Energiebedarf, der bei Gewinnung der Rohstoffe, Herstellung und Transport anfällt. Erst nachdem die Fotovoltaik-Anlage diese Energie wieder eingespielt hat, macht sie energetisch Gewinn. Je nach Standort und Sonneneinfall ist dieser Zeitpunkt nach zwei bis drei Jahren erreicht. Ab diesem Zeitpunkt kann die Anlage für 20-30 Jahre betrieben werden.

Sonnenenergie kann nicht nur zur direkten Stromproduktion genutzt werden, sondern auch einen Beitrag zum Wärmebedarf leisten und somit eine Ergänzung zur Geothermie darstellen. Ein Solarthermie-Kollektor ist direkt der Sonne ausgesetzt. Durch die Sonneneinstrahlung wird eine Trägerflüssigkeit erwärmt und ins Innere des Gebäudes geleitet. Die Sonnenwärme kann tagsüber absorbiert und genutzt werden, um Räume zu heizen und Wasser zu erwärmen. Die wechselnd starke Sonneneinstrahlung wird dabei ausgeglichen, indem die Wärme durch einen Tank gespeichert wird. So lässt sich diese auch noch einige Stunden nach dem Sonnenuntergang nutzen.

Stand 2020 stellt Fotovoltaik jeder deutschen Person im Schnitt 1,7 kWh pro Tag zur Verfügung – das sind nicht einmal zwei Prozent unseres Endenergiebedarfs. Wir müssen den Ausbau unserer Fotovoltaikanlagen versechzehnfachen, damit Sonne in Zukunft ein Drittel unserer Endenergie ausmachen kann.

Wind

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gab es die ersten Versuche, Windenergie in Strom zu wandeln. Heute betreiben wir große Windparks mit vielen Windrädern. Diese werden mit höheren Windgeschwindigkeiten und größeren Rotoren deutlich ertragreicher, denn die Energie im Wind ist proportional zur Windgeschwindigkeit hoch drei: Wenn sich die Windgeschwindigkeit verdoppelt, verachtfacht sich die Energie im Wind. Ein einziges Windrad mit einem Rotordurchmesser von 200 Metern liefert rund 25-mal so viel Energie wie ein einziges mit 40 Metern.

Wind und Sonne verhalten sich überregional und im Jahresverlauf häufig entgegengesetzt. Somit ergänzen sich die beiden Energieträger. In den Wintermonaten Dezember bis März sind die Erträge der Windenergie etwa doppelt so hoch wie im Sommer von Mai bis August.

Ich habe beobachtet, dass Diskussionen um den Bau von Windrädern häufig ein Beispiel für einen manchmal lähmenden Konflikt zwischen Naturschutz und Klimaschutz sind. Viele Menschen stören sich aus unterschiedlichen Gründen an Windrädern in ihrer Umgebung. Beispielsweise wird der Vogelschlag als Argument gegen den Bau von Windrädern angeführt – auch wenn mindestens 180 Mal mehr Vögel durch den Aufprall an Glasscheiben sterben, als durch Windkraftwerke 2. Wir werden diesen Konflikt nicht immer lösen können und uns stellenweise entscheiden müssen, ob uns lokaler Naturschutz oder globaler Klimaschutz wichtiger ist. Aus meiner Sicht ist die Aufschiebung von Klimaschutz aus Gründen des Naturschutzes in vielen Fällen unpragmatisch. Die Folgen einer eskalierenden Klimakatastrophe werden sich viel stärker negativ auf lokale Ökosysteme auswirken, als die verhältnismäßig geringen Nachteile, die wir auf lokaler Ebene in Kauf nehmen müssen, um konsequenten Klimaschutz zu betreiben.

Windkraft wird für die Energiewende in Deutschland essenziell sein und kann in Zukunft etwa 45 Prozent unseres Energiebedarfs decken. Sie muss auf das 10-fache ihrer heutigen Größe ausgebaut werden, denn zurzeit werden gerade einmal 4,2 kWh Energie pro Tag und Person aus Wind gewonnen. Es werden massive Windparks vor der Küste gebaut(Offshore) und viel Fläche für kleinere Windparks in ganz Deutschland freigegeben werden müssen.

Biomasse

Biomasse bezeichnet Energieträger wie Pflanzen, Holz und organische Reststoffe. Dieses organische Material kann nachwachsen und speichert durch Fotosynthese die Sonnenenergie. Durch Verbrennung kann die Energie jederzeit wieder freigesetzt werden – auch wenn gerade keine Sonne scheint und kein Wind weht. Deswegen kann Biomasse eine gute Ergänzung sein, um das Stromsystem stabil zu halten.

Neben der Energiegewinnung durch direkte Verbrennung kann Biomasse auch weiterverarbeitet und in Form von Biogas und Biotreibstoffen zum Heizen oder in der Mobilität zum Einsatz kommen. Diese Produkte mit höherer Energiedichte lassen sich einfach lagern, transportieren und wieder in Nutzenergie umwandeln, haben aber einen geringeren Energieertrag als die direkte Verbrennung. In Biogasanlagen werden hauptsächlich Energiepflanzen wie Mais oder Getreide vergärt, die dafür extra angebaut werden. Es können auch organische Reststoffe wie Bioabfälle und Gülle verwertet werden – in der Praxis machen diese Reststoffe aber nur ca. 20 Prozent der Rohstoffe aus 3.

Unseren heutigen Energiebedarf decken wir zum größten Teil durch fossile Brennstoffe: Erdöl, Kohle und Gas. Diese Brennstoffe stammen aus uralter Biomasse, die über Millionen von Jahren Kohlenstoff eingespeichert und somit die Erdatmosphäre stabilisiert hat. Durch unsere Verbrennung von fossilen Rohstoffen setzen wir diesen Kohlenstoff nun in kürzester Zeit frei. Dadurch befeuern wir eine radikale Klimaveränderung und bringen unsere Lebensräume in unmittelbare Gefahr.

Da der Bau von Biogasanlagen in den letzten 20 Jahren stark gefördert wurde, deckt Biomasse heute bereits 8 kWh des Primärenergiebedarfs pro Person und Tag ab. In dieser Branche ist nicht mehr ein solch ambitionierter Ausbau notwendig wie bei den anderen erneuerbaren Energien. Denn diese sind deutlich effizienter in ihrer Umwandlung von Energie und platzsparender als Biomasse. Die vorhandenen Biomasse-Anlagen können allerdings weiterhin vielseitig und flexibel eingesetzt werden.

So sieht unsere Zukunft aus

Ich bin in diesem Artikel auf die vier Energieträger eingegangen, die aus Sicht der Autoren von „Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden“ in Zukunft die größten Anteile unserer Energieversorgung ausmachen werden, weil sie technisch und wirtschaftlich erprobt sind und es realistische Ausbaupfade gibt. In dem Buch wurden zusätzlich noch Wasser-, Wellen- und Gezeiten-Kraft sowie einige weitere unbekanntere Technologien und Möglichkeiten zur Speicherung vorgestellt. Außerdem gab es einen ausführlichen Überblick über das Thema Kernenergie, mit dem Fazit, dass diese aus diversen Gründen keinen wesentlichen Beitrag zu unserer zukünftigen Energieversorgung leisten kann und wird.

Wir sehen, dass in Deutschland die Technologien rund um Geothermie, Sonne und Wind am stärksten ausgebaut werden müssen. Viele Markteffekte spielen uns dabei in die Karten, denn Onshore-Windenergie und Fotovoltaik sind in den letzten 10 Jahren deutlich günstiger geworden, sodass der Preis pro Kilowatt bereits unter der Kohle liegt 4.Trotzdem muss zusätzlich auch den politischen Willen geben: Aus meiner Sicht ist der wichtigste Hebel, die Externalisierung von Kosten zu minimieren. Ein Beispiel: Wenn die Industrie CO₂ oder andere Treibhausgase freisetzt, entstehen der Gesamtgesellschaft Kosten, weil sie mit Klimafolgeschäden umgehen muss. Die Fehlsteuerung liegt darin, dass die Industrie für diese Kosten nicht aufkommt, obwohl sie die Schäden verursacht. Hier gilt es in Form von CO₂-Bepreisung gegenzusteuern. Die dadurch entstehenden Einnahmen sollten allen anteilig ausgezahlt werden, um Klimaschutz auch sozial-positiv zu gestalten. Zu diesem Thema findet man einiges unter dem Stichwort Klimageld bzw. Klimadividende.

Neben dem Ausbau von erneuerbaren Energien ist es nach wie vor wichtig, dass wir Möglichkeiten finden Energie zu sparen und international zusammenzuarbeiten, um diese Mammut-Aufgabe gemeinsam bewältigen zu können.

Quellen und Links

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